Progressiv

Karnismus

Unischtbar, Allgegenwärtig, Tödlich.

„Karnismus“ ist ein relativ neuer, aber treffender Begriff, der die Ideologie beschreibt, die dem Verzehr von nichtmenschlichen Tieren durch den Menschen zugrunde liegt.Dieser Begriff wurde von der amerikanischen Sozialpsychologin Melanie Joy (PHD) in Anlehnung an den Begriff des „Vegetarismus“ geprägt. 

Das betreffende Buch, in dem sie ihre Thesen erläutert, erschien 2010 und heißt: 
„Why We Love Dogs, Eat Pigs, and Wear Cows: An Introduction to Carnism:
The Belief System That Enables Us to Eat Some Animals and Not Others
.“

Karnismus vs. Vegetarismus

Die vielen Formen des Vegetarismus (ovo, lakto, ovo-lakto, vegan, frutarisch etc.) stehen dem Karnismus gegenüber. 

Anders als Ernährungs- und Lebensweisen, bei denen die Ausbeutung von Tieren minimiert und so gut wie möglich vermieden werden will, ist der Karnismus ein Glaubenssystem, in das die meisten Menschen hineingeboren werden und das daher nicht als wählbarer Lebensstil, sondern als naturgegebener Normalzustand von der Mehrheit aller Menschen blind akzeptiert wird. 

Dabei ist die Ausbeutung von Tieren eine kulturelle Tradition, die viele Probleme mit sich bringt und mit wachsendem Fortschritt hinterfragt werden sollte. 

Karnisten lehnen dies jedoch ab. Das Problem wird unsichtbar gemacht und geleugnet. 

Zur Sichtbarmachung des Problems lohnt es sich, die zugrundeliegende Denkweise zu analysieren.Die Ausbeutung von Tieren und ganz besonders das Essen von Fleisch war und ist in allen Kulturen mit Schuldgefühlen und daher mit Rechtfertigungen, Ritualisierungen, Rationalisierungen, Verdinglichung der Opfer und vor allem Verheimlichung der grausamen Tatsachen verbunden. 

Sobald brutale Tatsachen publik werden oder sich friedliche Lösungsmöglichkeiten (wie der Veganismus) behaupten, werden diese öffentlich und gemeinschaftlich heruntergespielt, wegrationalisiert und lächerlich gemacht bzw. kommen nicht einmal in Betracht (da „zu extrem“). 

Der gesellschaftliche Druck auf Karnisten ist hoch bzw. wollen sie sich nicht aus ihrer „Normalität“ lösen. Sich aus dieser Denkweise zu befreien fällt den meisten Menschen aufgrund des Minderheitenstatus von Vegetariern aller Richtungen bislang noch schwer. Die persönliche Mitverantwortung bei der Aufrechterhaltung dieser Umstände kann aber nicht geleugnet werden. Diese Ideologie beinhaltet zum Beispiel: 

  • Dass manche Tierarten, vor allem aber die relativ kleine Gruppe der Nutztierarten, vom Menschen ausgebeutet werden können bzw. sollen – andere Tiere aber nicht unbedingt, und wenn, dann nicht als Fleischlieferanten.

    Diese Diskriminierung bzw. Bevorzugung ist allerdings rein kulturell bedingt.  

    In den westlichen Kulturen ist der Verzehr von Hunden und Katzen zum Beispiel ein Tabu, in einigen asiatischen Regionen nicht. 
     

  • Dass die charakterlichen Stereotypen in Bezug auf ausgebeutete Nutztierarten deren Ausbeutung rechtfertigen. Eine individuelle Persönlichkeit wird nicht einmal in Betracht gezogen. Die Individuen bestimmer Tierarten werden verdinglicht. 

    Diese Argumente sind irrational und werden nicht mit Fakten, sondern persönlichen Präferenzen begründet. 

    Zum Beispiel seien Schweine dreckig, faul, dumm und hässlich – Ferkel vielleicht nicht, aber ausgewachsene Schweine schon. Tatsache ist, dass Schweine sich im Schlamm (und nicht im Dreck) suhlen müssen um sich abzukühlen, da sie keine Schweißdrüsen haben. 

    Hunde dagegen könnten zwar auch widerliche Dinge tun, das würde aber aufgewogen durch ihre Loyalität. Dabei wird außer Acht gelassen, dass Menschen Schweine einsperren und in den Wahnsinn treiben, aber Hunde (eher) wie Familienmitglieder behandeln. 
     

  • Intelligenz und andere als positiv gewertete Eigenschaften werden nicht speziesbezogen gemessen, sondern immer in Bezug auf den Menschen – bei den ausgebeuteten Nutztierarten sind diese „Messweisen“ ganz besonders unfair.

    Diese Beurteilungen werden willkürlich und vor einem anthropozentrischen Hintergrund getroffen. 

    Sie haben somit keine allgemeine Gültigkeit, sondern nur eine, die eine weitere Ausbeutung durch den Menschen rechtfertigen soll. „Das Tier“ verstehe eh nichts.Schafen wird zum Beispiel unterstellt, dumm zu sein, weil sie sich menschliche Gesichter (rein visuell) relativ schlecht einprägen können. Von Schafgesicht zu Schafgesicht allerdings ist der das rein visuelle Gedächtnis um mehr als das hundertfache besser.
     

Karnismus-Speziesismus im Sprachgebrauch

Ähnlich verhält es sich bei „dummen Kühen“, „dummen Gänsen“, „Säuen“, aber auch bei „Milchkühen“, „Legehennen“ und „Mastschweinen“ und zwar so sehr, dass sich derartige Bezeichnungen in den alltäglichen Sprachgebrauch vieler menschlicher Kulturen eingefügt haben und völlig unreflektierte Anwendung finden. 

Diese Ideologie ist artspezifischer als der Speziesismus, aber geht wie dieser Hand in Hand mit Sexismus und Rassismus. So wurde von Sklavenbefürwortern früher ganz ähnlich argumentiert, dass schwarze Menschen nunmal stärker, aber weniger schmerzempfindlich und intelligent als hellhäutige Menschen seien, was eine „Nutzung“ dieser angeblichen Attribute absolut rechtfertigte. 

Der Karnismus gründet auf dem Speziesismus, aber geht weiter, indem er den Sklaven „Tier“ zu „Fleisch“ macht und jede Erinnerung an das dahinterstehende Individuum auslöscht. 

Die Beispiele für die menschliche Arroganz gegenüber nichtmenschlichen Tieren sind zahllos und haben viele Gesichter. Im Karnismus zeigt sie sich besonders deutlich. Emotionen wie Mitgefühl dürfen nicht existieren – denn das wäre ja das Ende des Karnismus. 

Ein sehr deutliches Beispiel für die weite Verbreitung der karnistischen Ideologie ist die Ernährung von sogenannten „Haustieren“ wie Hunden und Katzen mit dem Fleisch anderer Tiere bzw. die Ablehnung von veganer Hunde- und Katzenernährung, ungeachtet der Tatsache, dass diese Ernährungsformen richtig durchgeführt nährstofflich optimal sein können, sich bereits bewiesen haben und eine Verbesserung weiterhin stattfinden wird. 

Manche Tiere seien einfach „eher Freunde“ und andere „eher Fleisch“.

Veal 
Veal  „Kalbsfleisch“

Das Auge isst mit – Idylle für den menschlichen Konsumenten

Irreführende Produktwerbung, die dem Konsumenten suggeriert, dass das Essen oder Melken bestimmter Tiere oder dass das ständige Menstruieren (Eierlegen) der eigens dafür gezüchteten sogenannten „Legehennen“ völlig unproblematisch sei, trägt weiterhin zur Vorherrschaft dieser Ideologie bei. Hinzu kommt das komplette Ausblenden der Realität. 

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